Sonntag, 16. Oktober 2016

Greetings from the other side of sorrow and despair - Leonard Cohen (Heroes#1)

Es gibt viele Wege, auf Leonard Cohens Werk zu stoßen. Bei uns war es das Gerücht, das jemand aufgebracht hatte, Leonard hätte schon mehr als 100 Frauen gehabt. Und das bis 1984. Das war schon eine beeindruckende Vorgabe für uns, vor allem, da wir uns in dieser Angelegenheit noch im binären Zahlenbereich bewegten. Es gab Versuche im Freundeskreis, mit Gitarrenspiel, Sonnenbrille, Gesang, ernstem Blick und Poesie zu demselben Ergebnis zu kommen.


Jedenfalls hatte ich damals begonnen, mich mit Leonard Cohen auseinanderzusetzen. Seine Platte "Various Positions", die zu dieser Zeit herauskam, ist bis heute meine Lieblingsplatte von ihm, und nicht wegen "Halleluja", sondern "The Night Comes On". Die Beschreibung, wie er das Grab seiner Mutter besucht, im Winter, und zu ihr sagt, ich glaube, ich schaff das nicht alleine, und am liebsten dort geblieben wäre, aber sie schickt ihn zurück in die Welt, das traf mich so, als ob er den Song für mich geschrieben hätte. Heute noch löst dieses Lied in mir dasselbe Gefühl aus wie vor 33 Jahren. Und das ist nur eine Strophe daraus. "If It Be Your Will" genauso, in dem er fleht "End this night!".
Es sind überhaupt viele seiner Lieder wie Gebete, "The Faith" zum Beispiel, eines der schönsten und gleichzeitig traurigsten, resignativsten Lieder der späteren Platten  "Oh Love, Aren´t You tired yet?"

Leonard Cohens Lieder haben mich seit damals immer begleitet, ich entdeckte seine alten Platten und versuchte auch, seine Bücher zu bekommen, was ohne Internet nicht so einfach war. "Schöne Verlierer" gab es als  rororo Taschenbuch, "Blumen für Hitler" fand ich nur mehr im Antiquariat.

Es gibt immer wieder Phasen, da höre ich ihn intensiver, und dazwischen kaum, aber auch wenn die Pausen manchmal lang sind, irgendwas bringt mich immer wieder zurück zu ihm. Manchmal sind es erst die Interpretationen anderer Künstler, die mir den Anstoß geben, seine Platten wieder neu zu entdecken, wie zum Beispiel "You Got Me Singing" von Amanda Palmer, den Song hatte ich auf Cohens eigener CD ganz übersehen.

Zweimal habe ich ihn live gesehen, nach "The Future" haben mich die CDs aber nicht mehr restlos überzeugt, zumindest musikalisch nicht. Die Arrangements kamen mir manchmal wie liebloses Gedudel vor, im Gegensatz zu den früheren Platten. (Aber es sind immer noch ein paar wirklich berührende Songs auf jeder CD darauf.)  Seine späteren Konzerte habe ich daher ausgelassen. Das bedaure ich jetzt. Chance verpasst, denn mittlerweile ist eine weitere Tour aus Gesundheitsgründen nicht mehr möglich.

Vieles habe ich nicht so genau verstanden, aber das hat mich noch nie gestört. Meistens sind es ein paar Zeilen, die bei mir hängen bleiben. Sie fallen mir dann oft überraschend ein, und ich sage sie mir vor wie geheime Beschwörungsformeln, vor allem, wenn es um die Liebe oder den Tod geht. Mit dem Tod und seinen Folgen  (Erlösung,Verdammnis, Vergessen)  hat er sich immer schon beschäftigt, mal humorvoll, mal ernst, aber mit der Zeit hat sich auch ein verbitterter, dunkler Ton dazugesellt. Am 21.10. wird Leonard Cohens neue CD "You Want It Darker" erscheinen, und ich hoffe, dass die Kerzen nicht alle verlöschen.